EUGH kippt sog. „Kaskadenverweisung“ in Verbraucherkreditverträgen

März 2020

Der EuGH entschied mit seinem Urteil vom 26.02.2020 – c-66/19 über die Vorlage des Landgerichts Saarbrücken, dass eine sog. „Kaskadenverweisung“ den Verbraucher nicht entsprechend Art. 10 Abs. 2 Buchst. p) der RL 2008/48/EG „in klarer, prägnanter Form“ über den Beginn der Widerrufsfrist informiert. Der betreffende § 492 Abs. 2 BGB verweist in das EGBGB und damit auf eine Vielzahl weiterer Vorschriften, die ihrerseits auf weitere Vorschriften verweisen (sog. Kaskadenverweisung).

Zum Sachverhalt

Ein Verbraucher schloss 2012 einen grundpfandrechtlich gesicherten Immobiliendarlehensvertrag über nominal EUR 100.000,00 bei der Kreissparkasse Saarlouis mit einem bis zum 30.11.2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 % p.a. Zum Widerrufsrecht enthielt der Vertrag folgende Regelungen:

Widerrufsrecht
Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.[…]“

Anfang 2016 erklärte der Verbraucher schriftlich den Widerruf seiner Vertragserklärung gegenüber der Kreissparkasse Saarlouis. Die Kreissparkasse lehnte den Widerruf mit der Begründung ab, sie habe ordnungsgemäß belehrt, weshalb die Widerrufsfrist abgelaufen sei.
Daraufhin erhob der Verbraucher Klage beim Landgericht Saarbrücken, welches aufgrund von Zweifeln der Vereinbarkeit der „Kaskadenverweisung“ mit europarechtlichen Vorgaben den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren um Auslegung der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48/EG) bat.

Die Rechtsprechung des BGH

Der BGH entschied bereits 2016 zum Kaskadenverweis und hält diese Klausel für zulässig (BGH, Urt. v. 22.11.2016 – XI ZR 434/15 und BGH, Urt. v. 04.07.2017 – XI ZR 741/16). Der BGH vertritt die Auffassung, die Klausel informiere den Verbrauchen klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist. In dem Urteil heißt es:Der BGH entschied bereits 2016 zum Kaskadenverweis und hält diese Klausel für zulässig (BGH, Urt. v. 22.11.2016 – XI ZR 434/15 und BGH, Urt. v. 04.07.2017 – XI ZR 741/16). Der BGH vertritt die Auffassung, die Klausel informiere den Verbrauchen klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist. In dem Urteil heißt es:

„Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher konnte die Bedingungen, unter denen die Widerrufsfrist anlaufen sollte, aus der von der Beklagten erteilten Widerrufsinformation erschließen. […] Ohne solche Verweisungen könnten allzu detaillierte, unübersichtliche, nur schwer durchschaubare oder auch unvollständige Klauselwerke entstehen. Es überspannte die Anforderungen des Verständlichkeitsgebots, verlangte man den gesonderten Abdruck oder die Aushändigung einer für den Geschäftszweig geltenden Vorschrift, die der Kunde unschwer einsehen kann.“

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH urteilte jedoch entgegen dem BGH und entschied, dass Klausel den Anforderungen an eine klare, prägnante Form der Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist nicht gerecht werde. Der Verbraucher könne auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben erhalte, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen könne, für ihn zu laufen begonnen habe.
In dem Urteil heißt es:

„Eine bloße Verweisung in allgemeinen Vertragsbedingungen auf Rechtsvorschriften, die die Rechte und Pflichten der Parteien festlegen, reicht daher nicht aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C-92/11, ECLI:EU:C:2013:180, Rn. 50).
[…] Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. P der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist.“


Unser Praxistipp

Obwohl zahlreiche Banken die sog. Kaskadenverweise verwendet haben, ist nicht automatisch jeder Kredit widerrufbar. Sollten die Kreditinstitute das gesetzlich vorgegebene Muster für ihre Widerrufsbelehrungen verwendet haben, greift für sie der Musterschutz und die Kredite sind nicht widerrufbar. Dies gilt vor allem für Immobiliendarlehensverträge bis März 2016. Bei Autofinanzierungen und Leasingverträgen hingegen wurde zusehends vom gesetzlichen Muster abgewichen bzw. eigene Belehrungen geschaffen, so dass ein Musterschutz in diesen Fällen entfällt.

Lassen Sie Ihren Vertrag unbedingt vor dem Widerruf anwaltlich überprüfen! Wir beraten Sie gern!

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